Wir stolpern und verbeugen uns. 
In Erinnerung an die Opfer der Nationalsozialisten in Efringen-Kirchen.

Vortrag Gunter Demnig

Am  Vorabend der Verlegung der ersten Stolpersteine in Efringen-Kirchen hielt der Künstler Gunter Demnig einen Vortrag, in dem er die rund 50 Zuhörerinnen und Zuhörer seine Spuren mit verfolgen lässt, wie er zu seinem Lebenswerk, den Stolpersteinen fand. (siehe Presseecho unten)

Verlegung der ersten Stolpersteine am 7.11.23 vor den Häusern zweier jüdischer Familien, die von den Nazis vertrieben wurden und größtenteils in KZ's ums Leben kamen, an die erinnert wurde.

Gekommen waren Viele: Familienmitglieder der Opfer der Nationalsozialisten, Sohn und Enkelsohn von Herbert Bräunlin, Schüler der 10. Klasse des Schulzentrums mit ihrem Lehrer und AG-Leiter, der Historiker Axel Huettner sowie die Bürgermeisterin als Schirmherrin der Stolpersteine in Efringen-Kirchen.

(siehe Presseecho unten)

I

07.11.
2023

Im Haus in der Basler Str. 53 lebten Sophie Bloch, Alexander Bloch und Paula Eppstein, geb. Bloch.

Im Haus in der Friedrich-Rottra-Str. 58 lebten Emma Olesheimer, geb. Weil, Lina Weil, Jonas Olesheimer, Ida Bräunlin, geb. Olesheimer und Herbert Bräunlin.

Presseecho

Schicksale hinter den Stolpersteinen    

Am Vorabend der Verlegung der „Stolpersteine“ in Efringen-Kirchen erläuterte der Initiator und Künstler Gunter Demnig im Museum in der Alten Schule die jahrzehntelange Entwicklung der Aktion. Von den Schicksalen seiner Vorfahren, der Familien Bräunlin, Olesheimer und Weil, berichtete Robert Bräunlin, während Axel Huettner, der viel über das Leben der Juden in Efringen-Kirchen recherchiert und veröffentlicht hat, die Familie Bloch vorstellte.

In Kirchen lebten Juden, wie in vielen badischen Gemeinden, lange in guter Nachbarschaft mit anderen Dorfbewohnern – bis der Nazi-Terror dem ein Ende setzte. Den Menschen, die unter diesem Regime gelitten haben und den Ermordeten ihre Namen und Würde wiederzugeben, vorzugsweise dort, wo sie ihr letztes freigewähltes Zuhause hatten, das sei das Ziel der „Stolpersteine“ rekapitulierte Marion Caspers-Merk als Sprecherin der Aktion in Efringen-Kirchen zu Beginn des gut besuchten Abends.

Das Wiedererstarken rechtsradikalen Gedankenguts, vermehrte Angriffe auf Juden, die Notwendigkeit des Polizeischutzes für Synagogen sowie zunehmende Hassreden in sozialen Netzwerken zeigten, wie wichtig es sei, mit bürgerlichem Engagement dagegen zu halten, die Demokratie zu stärken und die Gräueltaten der Nazis nicht zu vergessen. Deshalb freue es sie, dass sich genügend Spender für das Verlegen der Steine gefunden haben und dass sich der Arbeitskreis Geschichte des Schulzentrums Efringen-Kirchen an der Aktion beteiligt. „Ohne bürgerschaftliches Engagement geht es nicht“, betonte Caspers Merk, die auch der Bürgermeisterin Caroline Holzmüller und den Bauamtsleiter Ulrich Weiß für die Unterstützung dankte. Der Gemeinderat hatte zuvor lange und kontrovers über die Stolpersteine diskutiert – mit dem Ergebnis, dass in Efringen-Kirchen als bislang einzige Gemeinde auch die heutigen Anwohner der Verlegung der Steine zustimmen müssen.

Er freue sich über jeden Stein, der dazukommt, betonte auch der Aktionskünstler und Initiator der „Stolpersteine“, Gunter Demnig – obschon der Hintergrund kein Grund zur Freude sei. Rund 105 000 Steine sind seit Beginn der Aktion im Jahr 1996 mittlerweile in 31 europäischen Ländern verlegt worden, der nördlichste in Hammerfest in Norwegen, wo ein versteckter Jude an die Gestapo verraten wurde. Demnig, der in der Regel nur bei den ersten Verlegeaktionen dabei ist, hat mit den Jahren viele Erfahrungen gesammelt: Dass es Angehörigen der Opfer wichtig ist, dabei zu sein, selbst wenn man aus Tasmanien nach Köln reisen muss. Dass junge Leute sich heute noch fragen, wie es zu einem Völkermord im „Land der Dichter und Denker“ kommen konnte und dass es nur drei Orte gab, an denen Schulen nicht mitmachen wollten. Dass Menschen, die in jungen Jahren über die Kindertransporte ins Ausland gerettet werden konnten, aber Mütter, Väter und Großmütter in Konzentrationslagern verloren, mit den Stolpersteinen einen Ort und einen Grund finden, wieder nach Deutschland fahren zu können. Aber auch das gehört zu Demnigs Erfahrungen: Dass 900 Steine herausgerissen und manche mutwillig beschädigt wurden und dass er drei Morddrohungen bekam.

Ausführlich ging Demnig, der 1955 mit seiner Mutter nach Westberlin geflohen ist und eigentlich Pilot werden wollte, auf seinen beruflichen Werdegang und die Entwicklungsgeschichte der Stolpersteine ein: Das 23 Semester währende Studium der Kunstpädagogik mit den ersten Kunstaktionen noch in Berlin, später als Assistent in Kassel und als freischaffender Künstler. Manches hat ihm Ärger mit Behörden eingebracht. Denn einen politischen Hintergrund hatten seine Aktionen immer, verdeutlichte der Künstler, der früh zum „Arbeiten mit der Schrift“ fand. Das Auflisten aller Friedens- und Freundschaftsverträge seit 2000 vor Christi, wobei er die Daten Buchstabe für Buchstabe in Metall einschlug, war die Grundlage für die „Stolpersteine“. So wie auch eine Tafel für 1000 deportierte Sinti und Roma. „Ohne die Aktionskunst gäbe es die Stolpersteine nicht“, betonte Demnig. dem diese – allesamt handgefertigt – längst zum Lebenswerk geworden sind.

In Efringen-Kirchen sollen die ersten acht Steine der Anfang einer ganzen Reihe sein, betonte Marion Caspers-Merk. Insgesamt 50, davon zwei in Istein für Opfer der Euthanasie, sollen es am Ende sein. Für 30 Steine gibt es bereits Spender.

Aus dem Leben der Familien Bräunlin, Olesheimer und Weil erzählte anschließend der Nachfahre Robert Bräunlin, dessen Großvater Herbert lange Jahre als Zeitzeuge aus den Erfahrungen in der Nazi-Zeit berichtete. Als getaufter Halbjude, seine Mutter Ida, geb. Olesheimer war eine Jüdin, überlebte er – von Freunden versteckt – den Nazi-Terror und starb 2017 mit 94 Jahren. Mutter Ida, ihr Bruder Jonas, die Großmutter Emma Olesheimer und deren Schwester Lina Weil aber kamen in Konzentrationslagern um. Ein bewegendes Foto, das Ida Bräunlin und Emma Olesheimer gemeinsam mit anderen Dorfbewohnern in der Dorfstraße 41 in Kirchen zeigt, verdeutlichte, wie Juden einst in guter Nachbarschaft in Kirchen gelebt haben.

Auch schräg gegenüber des Gasthauses „Anker“ und unweit der Synagoge wohnten Juden, die Familie Bloch etwa. Axel Huettner zeigte das Foto einer unbeschwerten Kinderschar aus dem Jahr 1932. Mit im Bild: Paula und Alexander Bloch, die Kinder Julius und Sophie Bloch. Sie betrieb einen Gemischtwarenladen in Kirchen. 1938 musste die Mutter den Laden nach den Schikanen der Nazis aufgeben und später auch das Haus in der Basler Straße verlassen. Sie wurde nach Gurs und von dort nach Auschwitz deportiert. Beide Kinder aber überlebten die Nazi-Herrschaft, allerdings nur mit Hilfe beherzter Menschen, die ihnen die Flucht ermöglichten. Paula gelang dies sogar aus dem Lager Gurs. In Basel lernte sie 1945 Walter Epstein kennen, den sie 1946 in New York heiratete. Ihr Bruder Alexander verdankt sein Leben Georgine Gerhard, die mit ihrer „300-Kinder-Aktion“, junge Menschen aus der Grenznähe bei Schweizer Familien unterbrachte. Auch er reiste 1946 in die USA aus, arbeitete als Arzt in New York. Zu beiden Bloch-Geschwistern konnte aber keine Verbindung mehr aufgebaut werden, bedauerte Huettner.

Veröffentlicht in: Die Oberbadische vom 08.11.2023

Bildergalerie 06. + 07.11.2023

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